Was man mit Lebensmitteln außer Wegwerfen noch tun kann

Kann sich noch jemand an den »Butterberg« erinnern? So wurde uns in der Schule der Umstand beigebracht, dass die EU-Bauern äußerst hohe Subventionen auf Milch bekommen. Diese führten dann dazu, dass so viel billige Butter produziert wurde, dass ein Großteil davon weggeworfen werden musste. 

Lebensmittelverschwendung Dumpstern

Schon wegen geringer Mängel landen Lebensmittel oft auf dem Müll.

Und wer kennt noch die Redewendung von den »hungernden Kindern in Afrika«, an die man denken sollte, wenn man mal wieder seinen Teller nicht aufessen wollte?
Bis heute hat sich wenig daran geändert, es ist sogar noch viel schlimmer geworden. Denn das Problem ist nicht zu viel Butter allein, oder dass jemand sein Mittagessen nicht zu Ende bringt. Nein, es geht um etwas ganz anderes.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft berichtet, dass weltweit 1,2 Milliarden Tonnen Lebensmittel einfach vergeudet werden. Die Zahl in Deutschland wirkt dagegen klein, es sind 20 Millionen Tonnen. Aber wenn ich versuche, mir diesen riesigen Berg von Lebensmitteln vorzustellen, die noch vollkommen in Ordnung sind, aber dennoch dazu verdammt, vor sich hin zu rotten, wird mir schwindelig.
Eher greifen lässt sich die Menge, wenn man sie auf Pro-Kopf-Zahlen umrechnet. Das heißt dann, dass statistisch gesehen jeder Bundesbürger rund 80 kg Lebensmittel wegwirft. Also bei vielen mehr als das eigene Körpergewicht.
Ruft man sich ins Gedächtnis, dass auf unserer Erde zwei Milliarden Menschen von Mangelernährung bedroht sind und ca. 900 Millionen von Hunger, erhalten diese Zahlen noch mehr Gewicht. Wäre es nicht sinnvoll, darüber nachzudenken, wie es zu solch einer ungleichen Verteilung kommen kann? (3)

Warum landen so viele gute Lebensmittel einfach in der Mülltonne?

Ein wichtiger Grund ist das Mindesthaltbarkeitsdatum und seine Fehlinterpretation. Es ist nämlich so, dass häufig das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) mit dem Verbrauchsdatum verwechselt wird. Letzteres erkennt man am Aufdruck »zu verbrauchen bis«. Ein Lebensmittel, welches das angegebene Datum überschreitet, ist nicht mehr gut, sollte auf keinen Fall gegessen werden und landet zu Recht im Abfall.
Das MHD ist dagegen nur eine Empfehlung. Die Ware ist nach Ablauf meist noch verwendbar, teilweise sehr lange, und man kann sich mit seinen Sinnen und dem gesunden Menschenverstand von ihrer Qualität überzeugen
Auch gibt es kein Verkaufsverbot. Der Anbieter muss nur überprüfen, ob die Lebensmittel noch in einwandfreiem Zustand sind. Es gibt nicht einmal eine Preisnachlasspflicht, obwohl das ja gerne gemacht wird.
Letztendlich soll das Mindesthaltbarkeitsdatum eine Orientierung sein, ist aber leicht misszuverstehen und noch dazu häufig schlecht lesbar oder zugeklebt.
Daher werden »abgelaufene« Lebensmittel der Einfachheit halber weggeworfen.

Noch dazu kommt, etwa bei Backwaren, dass aufgrund der Kundenwünsche manches schon einen Tag später nicht mehr verkauft werden kann. Klar kann man Brötchen vom Vortag noch essen, aber die meisten kaufen lieber neue.
Ein weiterer Grund für das Wegwerfen ist, wenn die Verpackung der Lebensmittel beschädigt oder beschmiert ist. Das sagt erst einmal gar nichts über den Inhalt aus, wird aber dennoch gemacht - weil es einfach ist und schnell geht.

Ganz schwierig wird es bei Obst und Gemüse. Wenn es nicht mehr schön aussieht, also Druckstellen hat, wird gnadenlos aussortiert. Da landen ganze Paletten im Müll, weil nur ein paar Früchte angeknackst sind. Diese auszusortieren würde Arbeitszeit kosten, die der Markt nicht leisten kann oder will, also wählt man auch hier den schnellen Weg.
Dabei kann selbst Ware mit Druckstellen noch problemlos gegessen werden, schließlich gibt es Messer, mit denen man die matschigen Stellen entfernen kann.

Letztendlich kommt noch der Wechsel im Sortiment dazu. Wenn ein Produkt »veraltet« ist und etwas neues ins Regal soll, dann fliegt das alte heraus. Egal, wie gut oder wie lange haltbar es noch ist. (1)

Lebensmittel containern

Containern: Ein neuer Volkssport etabliert sich.

Dumpster, Containerer und Mülltaucher

Die Ware landet auf dem Müll. Ende. Oder doch nicht? Hier kommen die Dumpster, Containerer oder Mülltaucher ins Spiel. Das sind Menschen, die des Nachts vorsichtig und planvoll Container der Supermärkte nach diesen noch wunderbar verwertbaren Lebensmitteln durchsuchen.
Mancher Student - die die größte Gruppe der Dumpster stellen - holt sich seine Vorräte komplett aus dem Abfall. Aber generell sind Menschen allen Alters im Finsteren bei der Nahrungssuche zu finden. Sie tun das zum einen, weil es logischerweise kostengünstig ist, zum anderen aber auch, weil viele die Nase voll von der Verschwendung haben.
Ich finde das auch völlig nachvollziehbar. Wenn es etwas gibt, was kostenlos ist, beste Qualität hat und eigentlich sinnlos verrotten müsste, warum kann man es dann nicht jemandem zukommen lassen, der etwas damit anfangen kann? (4)

Leider sieht die Gesetzeslage es anders. Containern ist illegal, im Prinzip ist das Mitnehmen von Müll von fremden Grundstücken Diebstahl. In der Praxis kommt es aber normalerweise nicht zu Strafanträgen, zum einen, weil keiner Lust hat, einen Diebstahl von etwas »Wertlosem« zu verfolgen, zum anderen, da Mitarbeiter und Polizisten auch Menschen sind und gerne ein Auge zudrücken, wenn sich jemand am Abfall bedient. (5)

Bei vielen Supermärkten findet sogar ein Umdenken statt und die abgelaufenen Lebensmittel werden nicht nur vergünstigt angeboten, sondern umsonst an Mitarbeiter oder karitative Einrichtungen abgegeben.
Meine Schwester hat beispielsweise lange in einem Bioladen gearbeitet und sehr oft konnten sie und ihre Kollegen sich nach Feierabend mit »alten« Backwaren und anderen Lebensmitteln eindecken.
Aber auch die dunkle Gegenseite existiert. So haben in Schweden die Mitarbeiter einer Lidl-Filiale abgelaufene Lebensmittel auf dem Müll (unerlaubt) mit Reinigungschemikalien vergiftet, damit Obdachlose sich nicht bedienen. Wenigstens wurden die armen Leute mit Schildern gewarnt, aber dennoch wurde ein Teil des Essens mitgenommen. (1)

Da stellt sich doch die Frage, warum wir als Gesellschaft so mit unserem Essen umgehen? Natürlich kann man die Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht verstehen. Sie haben berechtigterweise Angst davor, dass sich jemand mit abgelaufener Ware aus ihrem Laden den Magen verdirbt und sie müssen knapp kalkulieren und können nicht so einfach zusätzliche Mitarbeiter einstellen, die teilweise »verdorbene« Paletten umsortieren oder die Netze aufschneiden und Inhalte neu verpacken.
Dennoch ist es verrückt, was abläuft.

Was kann jeder einzelne tun?

Zum Glück kann jeder etwas gegen die Verschwendung tun. Entweder wird man selber zum Containerer oder beteiligt sich gar an einem Netzwerk wie https://foodsharing.de/, bei dem das Verwerten und Verteilen von einwandfreien, weggeworfenen Lebensmitteln professionell organisiert wird. Über 20.000 Helfer arbeiten dort ehrenamtlich daran, den falschen Überfluss einzudämmen und es wurden schon ca. 7 Millionen Tonnen Lebensmittel vor dem Abfalleimer gerettet - auch in Kooperation mit vielen Betrieben.

Oder wir nehmen uns ein Beispiel an den Franzosen: Im Frühjahr hat die Nationalversammlung dort beschlossen, mit einem neuen Gesetz bis zum Jahre 2025 die Nahrungsmittelverschwendung zu halbieren. Supermärkte dürfen nun keine Lebensmittel mehr wegwerfen, die sich noch zum Verzehr eignen. Abgelaufenes wird entweder günstiger angeboten, weiterverarbeitet (z.B. zu Tierfutter) oder als Spende abgegeben. Der Rest, der nicht verwendet werden kann, landet auf dem Komposthaufen. (3)

Aber auch im Kleinen können wir unseren Beitrag leisten. Wir können nur das kaufen, was wir auch essen können oder wollen. Wir können bei altem Obst schlechte Stellen herausschneiden und den guten Rest essen. Wir können darauf verzichten, uns Riesenvorräte anzulegen, bei denen wir dann Monate und Jahre später einen Haufen abgelaufenes Zeug in den hintersten Reihen entdecken. Und wir können uns trauen, Produkte mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum noch zu uns zu nehmen, nachdem wir sie gründlich überprüft haben.

Damit bauen wir zwar nicht den Butterberg ab und helfen auch nicht den Hungernden in weit entfernten Gegenden, aber wir müssen uns nicht mehr für die traurige Verschwendung von Ressourcen, Lebensmitteln, Arbeitskraft und Transportwegen schämen, die ja an der Produktion der meisten Waren hängen. Wenn sich viele am überlegten Umgang mit Nahrung beteiligen, kann mittel- bis langfristig auch etwas bewegt werden. Denn letztendlich haben wir als Konsumenten den Markt in der Hand - solange wir uns nicht von der Werbung und alten Gewohnheiten zu sehr einlullen lassen.

 

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Quellen:

(1)http://www.dumpstern.de/
(2)http://www.lebensmittelklarheit.de/informationen/das-mindesthaltbarkeitsdatum-ist-kein-verfallsdatum
(3)http://www.mindesthaltbarkeitsdatum.de/abgelaufene-lebensmittel/
(4)http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/containern-lebensmittel-aus-der-muelltonne-a-1009663.html
(5)https://foodsharing.de/

 

 

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